Donnerstag, 30. September 2010

Alberto Contador - 50 Pikogramm Clenbuterol

Morgen ist der Tag der Vegetarier. Es ist der Tag, an dem erinnert werden soll, wie moralisch verwerflich es aus Sicht manches Zeitgenossen ist, Tiere zu essen.

Dass Sportler tierisches Eiweiß brauchen, steht außer Frage. Als Vegetarier oder Veganer hätten sie wahrscheinlich zuwenig Saft in den Knochen, um die körperlichen Strapazen zu meistern. Nach welchen Richtlinien diese Eiweißzufuhr vollzogen werden muss, wäre demnach einmal verbindlich zu klären. Denn immer wieder erklären des Dopings überführte Sportler, sie hätten den verbotenen Stoff wahrscheinlich über die Nahrung zu sich genommen. Anders könnten sie sich den positiven Befund einer Dopingprobe nicht erklären.



Wie jetzt bekannt wurde, ist eine Urinprobe des diesjährigen Tour-de-France-Siegers Alberto Contador positiv getestet worden. Das Kölner Dopinglabor fand in einer Urinprobe des dreifachen Tour-Siegers 50 Pikogramm (0,000.000.000.05 Gramm pro Milliliter) des Hormons Clenbuterol, das unter anderem bei der Kälbermast zum Einsatz kommt. Eine Schlussfolgerung wolle der Radsport-Weltverband UCI nicht daraus ziehen. Dennoch wurde Contador sofort von der UCI gesperrt.

Einmal abgesehen davon, dass Contador wegen seiner ungelenken Arroganz ein ungeliebter Tour-Sieger ist, stehen Sportler und Verbände vor einem großen Problem. Je feiner die Testmethoden der Dopingfahnder werden, desto mehr sind die Sportler in der Gegenbeweispflicht. Theoretisch müssten sie jedes Nahrungsmittel, jedes Getränk, jede Zahnpasta zuvor von einem anerkannten Dopinglabor testen lassen, bevor sie es – ganz gleich in welcher Situation - dem Mundraum zuführen. Wie das in der Praxis einer dreiwöchigen Rundfahrt funktionieren soll, ohne das gesamte Sportgeschehen ad absurdum zu führen, ist eine kaum zu lösende Hausaufgabe. Selbst der Laie weiß, dass normales Leitungswasser mit Hormonen kontaminiert ist, dass im Fleisch, im Getreide, in Zahnpasta, in Obst und Gemüse Spuren von Stoffen zu finden sind, die nach dem Reinheitsgebot der Dopingwächter in einem Sportlerkörper nichts zu suchen haben.

Samstag, 25. September 2010

Eins, zwei, Polizei ...

Die Frage scheint mir berechtigt: Hat die Bochumer Polizei-Kavallerie im Zuge allgemein verordneter Sparmaßnahmen auf Fahrräder von »KiK« umgesattelt. »Kik«, »Kunde ist König«, passt ja von der Marketingaussage zu der Formel »Polizei - dein Freund und Helfer«.

Einzig das Polizei-Maskottchen, der liebenswürdig uniformierte und knuddelig aussehende Teddybär hat auf dem neuzeitlichen Polizeigefährt keinen Platz - und einen knackigen Marketingnamen hat er auch nicht.

Wie wäre es mit »HiK«, »Helfer ist König«? (Die andere Assoziation schenke ich mir.)


Mittwoch, 22. September 2010

B-Day

Manchmal ist es ein Gewinn, sich der richtigen Literatur zuzuwenden, in der die wichtigen Fragen des Lebens beantwortet werden. Per Zufall blätterte ich heute in einem alten Mickey-Mouse-Heft und musste mir spontan und zu meiner Schande eingestehen, dass ich den Geburtstag von Lance Armstrong glatt vergessen hatte. Kann passieren. Der »Boss« ist also am 18. September 39 Jahre alt geworden. Wenn das kein Grund ist, sich einen gepflegten Schluck »Natürliches Mineralwasser« von »Netto« zu genehmigen?

Dienstag, 21. September 2010

Eddy Merkt's

Die Autowerkstatt an der Wetter Straße gibt mir jedes Mal Rätsel auf.
Gestern hatten wir im Ennepetal Eddy-Merckx-Wetter. Heftige Böen, die das Vorwärtskommen auf dem Rad der Arbeit in einer Tretmühle vergleichbar machte. Manchmal hatte ich den Eindruck, ich bliebe auf der Stelle stehen, wenn mir kräftiger Gegenwind ins Gesicht blies. Das machte einfach keinen richtigen Spaß, auch wenn es eine gute Trainingsmethode darstellen soll, sich bei solchen Witterungsverhältnissen den Widrigkeiten entgegenzustellen.

Am Ruhr-Campingplatz in Hattingen



Der Legende nach soll Eddy Merckx bei stürmischem Wind an der Nordseeküste  trainiert haben. Vielleicht ist er nach dieser eigenwilligen Methode der »Kannibale« geworden, der Menschenfresser, dessen Gier nach Siegen seine Gegner an den Rand der Verzweiflung trieb. Als Vegetarier stehe ich der kannibalischen Merckx-Methode skeptisch gegenüber. Ich ziehe es lieber vor, bei zu heftigem Gegenwind einige Impressionen an der Wegstrecke mit der Kamera festzuhalten, die mir bei normalen Witterungsverhältnissen keines Blickes würdig sind.

 

Mittwoch, 15. September 2010

Oops

Im Ruhrgebiet hat jeder einen Kumpel, der einen kennt, der einen Schwager aus der ersten Ehe seiner Schwester hat, dem etwas Übles zugestoßen ist. Im konkreten Fall geht es um einen Radunfall. Der Unglücksrabe hatte auf einer Radtour mit einem Kumpel eines dieser Schlaglöcher des vergangenen Winters übersehen. Die Folge: derber Sturz. Krankenwagen. Krankenhaus. Diagnose: Verstauchung der rechten Schulter. Radschaden: mindestens 2000 Euro.




Die Geschichte hatte ich längst schon wieder vergessen, da treffe ich heute in der Bochumer Innenstadt ein bekanntes Gesicht. Wir plauderten über das Radfahren. Mir fiel auf, dass der Kollege unter seiner Jacke eine komplizierte Verstrickung an Stützverbänden verbarg. Auf dem zweiten Blick guckte ich auf seine rechte Schulter: und genau. Es war der Kollege, von dessen Malheur ich von einem anderen Kollegen gehört hatte. Ich sprach ihn darauf an. Er schilderte mir detailreich das ganze Drama. Sein Hausarzt behandelte eine Prellung, die sich tatsächlich als komplizierter Schulterbruch herausstellte. Seit acht Wochen ginge bei ihm nichts, sagte er. Er musste operiert werden. Arbeiten geht gar nicht. Radfahren erst recht nicht. Autofahren geht so eben.

Eigentlich wollte er an dem besagten Unglückstag seine Rudi-Altig-Kappe ausführen. Ohne Helm. Denn es war an dem Tag richtig warm. Und so ein Helm kann bei hitzigen Temperaturen schon mal aufs Gemüt drücken. Zum Glück, meinte er, hätte sein Kumpel auf Helmpflicht gedrängt. Im Nachhinein die richtige Entscheidung.

Montag, 13. September 2010

Mundbemalt

Glaubt man den Prognostikern, brummt die Autoindustrie wieder, was als Zeichen der überwundenen Weltwirtschafts-Fäulnis gedeutet wird. Die alte neue Verklickerung der Wohlstandsformel darf keinen Kratzer am Lack kriegen: floriert die Autobranche, geht es dem Land gut.

Die Weltkugel ist ein Fäulnishälter. Optimistischer: Eine fotografische Reminiszenz an Hilla und Bernd Becher. 

Also alles wie gehabt. Einmal die Reset-Taste gedrückt und das Monopolyspiel geht wieder von vorne los. Neue Bescheidenheit, ein Infragestellen der Wachstumsbeschleunigung, drücken der CO2-Emission?

Die Trendausrufer haben jetzt eine brandneue Entdeckung gemacht: Den Jüngeren geht das Statussymbol Auto am Gesäß vorbei. Ihre Lieblingsspielzeuge seien stattdessen ein ausgefuchstes Smartphone und ein brutal schickes, handgemachtes und mundbemaltes Fahrrad. Macht das akademische Prekariat aus der Misere einen Stil?

Sonntag, 12. September 2010

Oakley

Am gestrigen 9/11 war Kaiserwetter über der Ruhr. »Kaiser Franz« feierte seinen 65. Geburtstag. Herrlich. Bei 25 Grad + lässt es sich gut strampeln. Das Blei vom Tag zuvor schien aus meinen Beinen verschwunden. Es lief ganz gut. Vielleicht lag es auch daran, dass ich mein Umfeld orangegefiltert betrachtete. Das Blaulicht wurde wie von Zauberhand absorbiert und ließ alles um mich herum gleich wärmer und rosiger aussehen. Ich trug meine coole Oakley-Brille, die laut meinem Radhändler meine Augen vor umherschwirrendem Fluggetier schützen soll. Das Blöde ist nur, dass mir die tropfenden Schweißperlen einen getrübten Blick durch das Plastikglas verursachen. Das hat mein Radhändler vergessen zu erwähnen. Spätestens nach einer Stunde gucke ich durch die Salzschlieren auf meiner Brille als hätte ich einen Nebelschleier vor Augen. Also Haltung bewahren, so tun als wäre nichts, um nicht den kaum zu leugnenden Schaueffekt zu absorbieren.



Und dann sah ich ihn. Den großen schwarz-rot-goldfarbenen Unbekannten, den schweigenden Mann ohne Gesichtsregung, meditativ in sich gekehrt. Gelbes Trikot, goldgelber Helm, schwarze Radhose, Schriftzug Cervélo auf rotem Rahmenuntergrund. Zweimal in der Woche spult er wie ein Uhrwerk seine Kilometer. Die Wetter Straße rauf, die Wetter Straße runter. Stundenlang. Geschätzte 150 Kilometer bei konstantem Tempo um die 40. Großes Kettenblatt, 90er Trittfrequenz. Immer in gleicher Triathlonhaltung, den Kopf leicht nach links geneigt.

Ich schätze ihn um die 40. Denn gestern konnte ich das erste Mal seit zwei Jahren einen Blick auf sein angegrautes Haupthaar werfen. Als ich an ihm vorbeifuhr, um in Richtung Herdecke abzubiegen, hatten wir kurzen Blickkontakt. Er schien irritiert als ich aus seinem Windschatten auftauchte. Mein Endruck: Die Leichtigkeit, die der große Unbekannte ansonsten vermittelt, wirkte angestrengt. Vielleicht lag das auch nur an meiner getrübten Wahrnehmung.

Freitag, 10. September 2010

5 Prozent

Der heutige 120er durch das Ennepetal schlauchte mich ganz schön. In meinen Beinen: Blei, dental und mental war ich völlig neben der Spur. Die volle Dröhnung, die mir der Zahnarzt gestern verabreichte, steckt mir noch in den Knochen. Jetzt sitze ich am Rechner und überlege mir, wie ich das rüberbringe, ohne dass ich in einen Jammerton verfalle.

Überlegung 1: Wie würde sich Herr Schleck verhalten? Die Überlegung fällt flach, weil er sich nach einer Vuelta-Etappe am Alkohol verlustierte. Bjarne Riis zog die Konsequenz und suspendierte ihn. Da kennt »Mister 60%« kein Vertun.

Überlegung 2 hat mehr Charme. Tatsächlich musste ich auf meiner heutigen Tour an die 45-Trainigsstundenwoche von Jan Frodeno denken, und an seinen Körperfettanteil von 5 Prozent. Mich würde interessieren wie er seinen Heißhunger auf Süßkram bändigt? Eine Gegenstrategie ist mir noch nicht eingefallen. Bin ich platt, kriege ich eine Süßkram-Attacke.

Meinen hochprozentigen Körperfettanteil kann ich begreifen. Begreif das, der will.

Donnerstag, 9. September 2010

Amalgam

Apropos an die Wurzel gehen. Mein Zahnarzt setzte heute Morgen schweres Bohrgerät ein, um einen meiner Backenzähne zu reparieren. Zu lange hatte ich geschludert, bis mir vor ein paar Tagen die blendende Idee kam, doch mal meinen Mundraum etwas näher in Augenschein zu nehmen.



Ich gehöre zu der Generation, die bei Beschwerden im Mundraum mit Amalgam im Zahn ausgestattet wurde. Für seinen Quecksilberanteil von 50 Prozent ist Amalgam hinreichend bekannt. Der Füllstoff soll Wechselwirkungen im Körper verursachen und ist als Füllmethode aus dem Verkehr gezogen worden. Falls die Annahme stimmt, und davon gehe ich aus, hoffe ich, dass mein seit Monaten spürbare Gezwicke in den Fußgelenken ein Ende hat.

Fußkrank dürfen die KSK-Aspiranten auf gar keinen Fall sein: Die »Höllenwoche« ist »das Härteste, was man jungen Menschen in einer Demokratie zumuten kann«, soll ein Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) geäußert haben. Gestern Abend zeigte die ARD in einer nüchtern kommentierten Dokumentation, was mit der Aussage gemeint ist. 180 Kilometer Fußmarsch mit schwerem Gepäck haben die 50 KSK-Aspiranten während des Eignungstests zu absolvieren - gespickt mit einer Fülle an Schikanen, von denen das ARD-Team einzig die »harmlosen« Schikanen filmen konnte. Übrig geblieben sind nach dem Test 14 Soldaten, »keine Rambo-Typen«, sondern Typen, die in zwei Jahren Ausbildung darauf gedrillt werden, im Ernstfall »punktiert und isoliert von der Truppe vorgehen«.

Screenshot aus der ARD-Dokumentation über das KSK


Bevor ich heute Morgen mit dem Rad zum Zahnarzt gefahren bin, sah ich mir die 30-Minuten-Dokumentation noch einmal genauer an. Ich wollte mich davon überzeugen, ob meine erste Assoziation aus der Luft gegriffen sei, dass Profi-Triathleten ziemlich gute Karten hätten, die »Höllenwoche« zu überstehen. Auf der Netzseite von Triathlon-Olympiasieger Jan Frodeno steht, er trainiere wöchentlich 45 Stunden. Fühle ich der Uridee des Triathlon auf den Zahn, ist dessen Wurzelfüllung von militärischem Amalgam geprägt.

Sicher wäre es verwegen, zwischen Frodeno oder Thomas Hellriegel und den KSK-Aspiranten eine Gemeinsamkeit zu konstruieren. Viel mehr interessiert mich, warum sich junge Demokraten zu paramilitärischen Spielen wie dem »Strongman Run« oder dem »Urbanathlon« hingezogen fühlen? Irgendeine Sehnsucht scheint bei diesen jungen Demokraten unerfüllt, wenn sie einen verschwenderischen Körperaufwand treiben, der niemandem zu Gute kommt – außer dem Arzt oder Apotheker.

Mittwoch, 8. September 2010

Nahrung

Die Nahrungsaufnahme ist ein heikles Thema. Thilo Bode von Foodwatch verweist in seinem neuen Buch auf die Tricksereien der Lebensmittelindustrie, neben Leckereien wie Analogkäse und Gelfleisch in Speisen und Getränken versteckte Fette und zuckerhaltige Stoffe zu verwenden. Als Grund nennt er das auf Wachstum programmierte Denken, das er mit den Luftgeschäften der Banker vergleicht.

Die Banker haben, so Thilo Bode, mit dem Aufstellen von Geldautomaten die einzige für die Verbraucher nützliche Erfindung erdacht. Im Vergleich dazu nennt Bode die Errungenschaft der Tiefkühlkost von seiten der Lebensmittelindustrie. Wie diese Industrie dennoch stetigen Wachstum generiert, funktioniert einzig über Fehlinformationen zu angeblich neuen Produkten. Das Dumme ist aus Sicht der Lebensmittelbranche, dass man sich nur einmal satt essen kann. Damit dies nicht so bleibt, werden Geschmacksverstärker eingesetzt, die den Sättigungsgrad verzögern. Die Folge: Dicke Kinder mit Anzeichen von Altersdiabetes.

Für Ausdauersportler stellen sich ganz andere Probleme. Gerade habe ich mir die Aussagen von Dr. Feil auf youtube reingezogen. Er ist Berater von Triathlon-Olympiasieger Jan Frodeno und anderen Leistungssportlern. Klingt plausibel, was der Onkel Doktor sagt. Dass er seine Produkte von Ultra Sports an den Mann und die Frau bringen will, ist auch klar. Die Nahrungsaufnahme ist schließlich ein Bombengeschäft – und eine Glaubensfrage.

Dienstag, 7. September 2010

»Deutschland bewegt sich« Teil 2














Auf meiner Strecke fahre ich regelmäßig an der Beflaggung vorbei. Interessant ist der angegriffene Zustand des deutschen Nationalsymbols. Bei den gestrigen Windverhälnissen hatte es auch einiges auszuhalten.  















Der Herbst wirft seine Schatten voraus. Beim Stop an der Ampel musste ich aus Langeweile zur Kamera greifen und ein langweiliges Foto machen.















Ganz nett oberhalb des Harkortsees herumzucruisen. Welche Funktion die wuchtige Mauer an der Alleen Straße hat - keine Ahnung. Mutet an wie ein vergessener Rest des Westwalls.  

Sonntag, 5. September 2010

Spaghetti

48000 Radkilometer stecken mir seit dem 6. Mai 2006 in den Waden. Das interessiert niemanden, ich weiß. Aber gut, dass wir mal darüber gesprochen haben.

Donnerstag, 2. September 2010

Achill

Erhellende Zahlen

Radfahren >


Obey Gas Mask Rider


  • 17000 Jahreskilometer 2010 (voraussichtlich)
  • 13305 Jahreskilometer 2009
  • 11125 Jahreskilometer 2008
  • 7686 Jahreskilometer 2007
  • 4429 Jahreskilometer 2006
  • 721. Platz in der Gesamtwertung beim Jedermann-Giro in Bochum 2008
  • 450. Platz in der Gesamtwertung beim Jedermann-Giro in Bochum 2009
  • 205. Platz in der Gesamtwertung 2010
  • 28 kg abgenommen
  • 24. Platz beim Jedermann-Giro in Bochum, Kategorie M3
  • 6 Reifenschäden 2010
  • 4,4 Jahre Radtraining
  • 1 Kollision mit einem Autofahrer/ Totalschaden des Rads
  • 1 Bruch der Kettenstrebe
  • 0 Verwendung von Doping

Rudern + >

  • 35000 Autokilometer zu den Trainingsstätten
  • 5200 Jahreskilometer im Boot
  • 150 DM Sporthilfe im Monat
  • 44 Siege bei nationalen und internationalen Regatten
  • 12 Wochentrainingseinheiten
  • 10 Ruder-Länderkämpfe
  • 8 Jahre aktiver Schwimmer
  • 5 Jahre aktiv in der Ruder-Männerklasse
  • 3 Jahre Jugendruderer
  • 3 Mitgliedschaften in Ruder-Vereinen
  • 2 Jahre Sportsoldat in Essen-Kupferdreh
  • 2 mal Militär-Vizeweltmeister
  • 1 Ehrung als Sportler des Jahres in Mülheim a.d. Ruhr
  • 1 mal Deutscher Meister
  • 1 Zweier ohne Steuermann versenkt
  • 0 Verwendung von Doping

Mittwoch, 1. September 2010

Aufgewärmt

Kummer-Bücher bei Amazon

Es passiert mir selten, dass ich ein Buch erst wieder zur Seite lege bis ich auch die letzte Zeile gelesen habe. Ich sauge es in mich hinein. Ich werde zu einem Darsteller des Textes. Ich möchte mich beim Lesen selbst überholen, bis mich das vorgelegte Tempo in einen entspannten Zustand versetzt, den ich an einem der viel zu seltenen Tage auf dem Rennrad spüre, wenn mein Raumgleiter von allein über den Asphalt schwebt und ich zufälligerweise der einzige Passagier bin. Ich befinde mich im Schwebezustand, ich beame mich weg, dass ich die vorbeifahrenden Autos kaum noch wahrnehme. Sie sind mir egal. Es ist mir egal, wie asozial ich mich auf dem Rad bewege. Entspannt liege ich nach vorn gebeugt im Krummlenker. In Demutshaltung ist der Atem kontrolliert. Die Beine bewegen sich von allein. Ich setze einen Blick auf, der mein Gesichtsfeld einengt und mich von meiner direkten Umgebung loslöst.

Nein, ich spinne nicht. Ich nehme keine Drogen, bis auf die Lösungsmittel der Anstreicherfarbe in meiner Wohnung, die langsam durch die Nase in mein Hirn dringen, geht es mir normal. Ich versuche einen Stil zu imitieren, den ich gar nicht imitieren kann. Es ist der Stil von Tom Kummer, des hochbegabten Fälschers, genialen Hochstaplers, des Grenzgängers, für den die Realität eine einzige große Show ist. Dafür liebe ich den Schreibstil des Mannes, dem der Journalismus in den Achtzigern und bis Ende der Neunziger einige Sternstunden verdankt. Und der für seine Bravourstücke von den gleichen Leuten abgestraft wurde, die ihm seine Promi-Interviews regelrecht aus den Händen gerissen haben.

Das mich faszinierende Buch »Blow up« von Tom Kummer wird vom Verlag Blumenbar als Beichte verkauft. Im Beichtstuhl der Öffentlichkeit erzählt er von seiner verwirrenden Genialität. Er hat sich auf dem Höhepunkt der postmodernen Popkultur erlaubt, seine Vorstellungskraft zu gebrauchen und die Schriften seiner französischen Philosophen-Helden allzu wörtlich zu nehmen. Auf solch ein Vergehen gegen die guten Sitten des Journalismus steht die Todesstrafe. Wer wissentlich den heiligen journalistischen Ernst unterwandert, ihn vor aller Augen der Lächerlichkeit preisgibt, der kriegt kein Bein mehr auf die Erde. Der wird am höchsten Baum des Landes aufgeknüpft und darf dort so lange zappeln bis ihm die Luft ausgeht.

Sein Delikt ist delikat. Am Mischpult seines Küchentischs in Koreatown von L.A. bastelte er am hohlen Sound der Junk-Aussagen von Hollywood-Stars. Er pimpte ihren Wortschrott. Er lackierte die Texte auf Hochglanz, montierte ihren Wörtern glitzernde Alufelgen, verschraubte im Innenraum ganze Batterien an Monitoren. Aus dem Wortschrott formte er schnell geschnittene Phantasie-Interviews, die im langweilig ausgewogenen Schwarz-Grau der Bleiwüsten eine Parallelwelt im Spiegeluniversum der 4. Macht darstellten.

Den Merksatz von Roland Barthes, dass es subversiver sei, die Codes zu verändern, statt sie zu zerstören, hat Tom Kummer für bare Münze genommen. Dass nur Künstler so arbeiten dürfen, denen Feuilletonisten dann wortgewandt erklären, was sie gedacht haben als sie dachten zu denken, darum hat sich Tom Kummer nie geschert. Er pendelte virtuos zwischen Realität und Simulation. An seinem Küchentisch in Koreatown war er Interviewer und Interviewter in einer Person. Vielleicht ist er deshalb einer der wenigen Journalisten, der Roland Barthes Leitfaden der Guerillataktik angewandt hat. Sein Mehrwissen, Anderswissen, sein Durchblick durch die hohle Fassade der Unterhaltungsindustrie ist ihm zum Verhängnis geworden.

Leider sind mir seine Storys abhanden gekommen. Die TEMPO-Ausgaben musste ich aus Platzmangel dem Altpapier zuführen. Einzig die Belegexemplare sind mir erhalten geblieben, die seit Jahren auf dem Dachboden des Vergessens vom Licht gefressen werden. Falls ich mal darin blättere, was eher selten vorkommt, muss ich an meine Begegnung mit TEMPO-Chefredakteur Markus Peichl zurückdenken, der mich nach Hamburg zitierte, um meine Geschichte über einen Zuhälter-Rockerclub ins Blatt zu heben.

Der Titel erschien zur gleichen Zeit, als der STERN eine Exklusivgeschichte über den St.-Pauli-Killer mit gekauften Fotos aus dessen Privatalbum illustrierte. Meine Rockergeschichte basierte in gleicher Weise auf dem Inhalt von Fotoalben. Der Rockerchef stellte sie mir zur freien Verfügung. Sie waren in Pappkartons auf einem Schrottplatz gelagert. 17 von aristokratischen Lilien gezierte Fotoalben, in denen er die fotografischen Dokumente aus 17 Jahre Zuhältersein sammelte.

Die ausgewählten Privatfotos steckte ich in einen Briefumschlag zusammen mit einem zugegeben schrägen und auf einer manuellen Reiseschreibmaschine gehackten Text. Nach zwei Tagen der Ungeduld erlaubte ich mir in der TEMPO-Bildredaktion anzurufen, ob meine Sendung angekommen sei. Auf die Frage der Bildredakteurin, um welches Material es sich denn handele, sagte ich ihr, es seien Fotos aus dem Fotoalbum eines Rockerchefs. Woraufhin sie mich anblaffte, ich müsse doch wissen, dass man bei TEMPO allergrößten wert auf höchste Fotoqualität lege. Und genau deshalb, so meine Antwort, habe ich das Material ja an TEMPO geschickt. Pause. Das Gespräch war beendet. Kurz darauf rief mich Markus Peichl an. Ich solle sofort nach Hamburg kommen.

Natürlich möchte ich mich jetzt etwas interessant machen. Erst viel später begriff ich, dass der mir von Markus Peichl vertrauensvoll zur Seite gestellte Co-Autor Helge Timmerberg eine große Nummer im deutschen Gonzo-Journalismus ist. Er, ein durchgeknallt genial schreibender Indien-Freak, verpasste meiner Geschichte den typischen Hunter S. Thompson-TEMPO-Stil, der mir nach Erscheinen der Ausgabe allerdings einen Höllenärger einbrachte. Manche Rocker hatten wenig Sinn für Ironie. Bei meinen Erklärungsversuchen hoffte ich, dass es mir nicht genauso ergehen würde wie Hunter S. Thompson nach Erscheinen seines Buches über die Hell’s Angels - sie hatten ihn übel zugerichtet. Die schützende Hand des Rockerchefs verhinderte meinen GAU. In mir hatte er seinen Pressesprecher gesehen. Er fütterte mich mit Stoff. Warum er das tat, ist mir bis heute unklar.

Zuvor hatte ich in der letzten GUCKLOCH-Ausgabe, dem Vorläufer von PRINZ, über seine römischen Kampfhunde der Marke Mastino Neapolitano berichtet. Die mächtigen Hunde hielt er direkt neben seinem Privatpuff in einem Löwenkäfig. Wenn ein Gast im Laden austickte, ließ er die sabbernden Mastinos mal nach dem Rechten sehen. Der Anblick der Hunde reichte offenbar aus, um wieder Ruhe in den Laden zu bringen. Auf die Idee, im Ruhrgebiet nach Haltern von Mastinos zu recherchieren, hatte mich Tom Kummers Reportage über Hundekämpfe gebracht.

Beim Lesen seines Buches sind mir einige Zusammenhänge klarer geworden, von denen ich keine blasse Ahnung hatte. Wer bei TEMPO an welchen Strippen zog, wer wie ins Blatt rotzen durfte. Der rotzige Stil war schick, anders, dekadent, provokant, narzisstisch, schließlich galt es, den Journalismus neu zu erfinden. Unter dem lief gar nichts.

Für TEMPO sollte ich in der Mülltonne von Heino wühlen. Am Harvestehuder Weg in Hamburg fand man es sehr originell, eine probate Polizeimethode anzuwenden. Ich sollte die Mülltüten von Heino abgreifen und nach Hamburg schicken, damit sie im feinsten Studiolicht eines gerade angesagten Hamburger Fotografen abgelichtet werden können. Negativ. Ich weigerte mich den Auftrag anzunehmen.

Ein anderer TEMPO-Auftrag ging derbe in die Hose. Ich sollte nach einer Demonstration von Autonomen in Hamburg in den besetzten Häusern der Hafenstraße fotografieren. Dass mir dort eine Lektion erteilt wurde, die sich noch heute in meinem Gesicht abzeichnet, gehört in die Gedächtnisabteilung der verdrängten Erlebnisse. Heldenhaft war daran gar nichts. Mir wurde von fünf Autonomen die Fresse poliert. Ein knurriger Schäferhund hielt mich die ganze Zeit über in Schach. Mit jedem Schlag ins Gesicht wurde ich der naiven Vorstellung beraubt, dass die wahren politisch Korrekten ihr Gesicht hinter einer schwarzen Kapuze verstecken. Ich musste mich jahrelang geirrt haben.

Als Tom Kummer für den Zungenbrecher Süddeutsche Zeitung Magazin arbeitete, waren inmitten der Neunziger die Achtziger auf ihrem Höhepunkt. 16 Jahre Helmut Kohl zeigten ihre Wirkung. Das von Reagan und Thatcher verbreitete Gift des Neoliberalismus hatte längst die Köpfe verseucht. Kummer nennt das MEHR. Noch MEHR. Und er bediente das verlangte MEHR, das stärkste von Menschen entdeckte Gift neben dem Neoliberalismus. Wer MEHR will, hasst die Langweile, will noch MEHR NEUES.

Die Fotografie, die eineiige Zwillingsschwester des journalistischen Textes, hatte längst eine andere Färbung erhalten. Die Gurskys, Martin Paar, Jürgen Teller, Tillmans, Terry Richardson erfanden in ihren Sektoren den Trash. Dokumentarische Qualität, der sich Agenturen wie Magnum, VII oder Gamma verpflichtet sehen, Modefotografie wie die von Avedon, Penn oder Outerbridge – das waren Bildauffassungen von gestern. Warum der so genannte Qualitätsjournalismus sich an das Gestrige klammert, schweres Geschütz zur juristischen Verteidigung des Feldherrenhügels auffährt, verstehen nur die Feldherren selbst. Unter ihrem Hügel buddeln Blogger längst ihre Kriechgänge.

Für die Blogger hat Tom Kummer am großen Schaufelrad gedreht. Manchmal schoss er durch die Decke, um zu gucken, was passiert. Er buddelte und buddelte sich durch den Feldherrenhügel, drehte und drehte das große Schaufelrad, aber der Einsturz wollte sich nicht vollziehen. Seltsamerweise bekam er Applaus. Und der machte ihn leichtsinnig. An seinem Küchentisch in Koreatown von L.A. spielte er mit einer selbstgebauten Bombe. Er wollte sich als Selbstmordattentäter in die Geschichte des Journalismus sprengen und den Feldherrenhügel des Qualitätsjournalismus gleich mit dazu. Was er bei seiner Suche nach dem MEHR vergessen hatte, er war schon zu einem Fixstern des Journalismus mutiert, ohne es tatsächlich zu merken.

Welche Technik Tom Kummer bei seinen legendären Promi-Interviews anwendete, schildert er in seinem Buch »Blow up«. Auf das fiktive Gespräch mit Charles Bronson, das in zwanzig Länder verkauft wurde, zog er ein Buch aus seiner Bücherwand. Im konkreten Fall: Das Innenleben von exotischen Pflanzen. O-Ton Kummer: »Das Buch werfe ich dann einfach vom Tisch der Träume an die gegenüberliegende Wand, und ganz nach dem Zufallsprinzip soll es dann auf irgendeiner Seite landen. Die magische Technik empfehle ich allen Hollywood-Reportern in Not. So wurde das Interview mit Charles Bronson um die Kraft der smarten Pflanzen aufgebaut. Und Bronson, der große Death-Wish-Action-Kinostar der siebziger Jahre, wurde dadurch zu einem Experten, der in den Pflanzen sein Seelenheil fand.«

Ich schwebe über den Asphalt, bis ich den seltsamen Eindruck gewinne, ich rutsche über Seife. Ein Knall reißt mich aus meinen »Flow«. Das Rennrad entgleitet mir. Ich gerate ins Straucheln, entklammere mich im Fallen aus den Klickpedalen, nehme Bodenkontakt zum Asphalt auf. Das wars. Der unkaputtbare CANNONDALE-Rahmen, auf den ich »lebenslange« Garantie habe, ist gebrochen.